»Denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.« Jeremia 29,11

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Pfarrei St. Sixtus

Pfarrer Michael Ostholthoff im Interview zur aktuellen Causa Ratzinger

Das Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising und die Falschaussage des früheren Papstes Benedikt haben in der katholischen Kirche ein - weiteres - Beben ausgelöst.

Das Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising und die Falschaussage des früheren Papstes Benedikt haben in der katholischen Kirche ein - weiteres - Beben ausgelöst. Dieses macht natürlich auch vor unserer Pfarrei St. Sixtus nicht Halt und lässt Seelsorger wie Gemeindemitglieder gleichermaßen fassungslos zurück. Pfarrer Michael Ostholthoff griff das Thema am vergangenen Wochenende in seiner Predigt auf. Anschließend bezog er gegenüber der Halterner Zeitung Stellung.

Herr Ostholthoff, Sie haben die Stimmung in den Gottesdienst getragen und eine fast rebellische Predigt gehalten. Wie viel Mut braucht es für so klare Worte?

Wenn ich eine solche Predigt halte, dann spreche ich aus der Emotion der Scham und der Betroffenheit, angesichts des unhaltbaren Umgangs unserer Kirchen mit den Betroffenen von sexueller Gewalt. Es gilt, die Sorge um sich selbst zurückzustellen und die Dinge ins Wort zu bringen, die deutlich und unmissverständlich gesagt werden müssen. Mir geht es nicht zuerst um die Kirche als Institution, mir geht es um die Menschen, denen ich zusprechen möchte, dass sie von Gott geliebt sind. Wenn es unserer Kirche nicht mehr gelingt, den Menschen diesen Blick auf ihr Leben zu eröffnen, sondern durch ihr stetiges Fehlverhalten diesen Zugang zu Gott verstellt, wird sie nicht mehr gebraucht. Ein Bischof unserer Kirche hat einmal formuliert: Eine Kirche, die nicht dient, dient zu rein gar nichts.

Darf man als Seelsorger vor Ort überhaupt schweigen?

Viele Seelsorgerinnen und Seelsorger sind wie unsere Gemeinden müde geworden durch einen nicht enden wollenden Skandal. Es gilt nicht abzustumpfen, sich immer neu bewusst zu machen, wieviel Leid Menschen im Raum der Kirche erfahren haben. Schweigen ist keine Option, doch es darf nicht bei Worten bleiben. Es gebraucht das Handeln, den Mut zu Veränderung, das Offenlegen von Abhängigkeitsstrukturen. Welche systemischen Defizite hat unsere Kirche? Wie können wir den Klerikalismus überwinden? Herausforderungen müssen benannt und Fragen gestellt werden!

Was macht Sie so fassungslos?

Als vor zehn Jahren das Ausmaß des Missbrauchsskandals zu Tage trat, habe ich wirklich gedacht, dass nun kein Stein auf dem anderen bleiben würde. Natürlich ist seitdem intern einiges in Bewegung gesetzt worden, aber mich enttäuscht, dass ich keinen Wandel in der Haltung spüre. Viel mehr scheinen wir uns in einer Endlosschleife zu befinden. Es wird das zugegeben, was unwiderlegbar bewiesen wird. Ich möchte eine Kirche erleben, die proaktiv auf die Opfer zugeht und sich um diese Menschen sorgt und nicht um sich selbst.

Kirche muss dienen. Was muss sich also zuerst in der Kirche ändern?

Wir müssen alles in der Kirche auf den Prüfstand stellen, um die Aspekte ausfindig zu machen, die es begünstigen, dass Abhängigkeit entstehen und Menschen in Abhängigkeit gebracht werden. In unserer Pfarrgemeinde wurde in einem langen Prozess ein institutionelles Schutzkonzept erstellt, das genau diesen Blick auf das Leben in unserer Pfarrgemeinde wirft. Ruth Gerdes ist seit Jahren ehrenamtlich unterwegs und erklärt und wirbt mit Mechthild Heimann in unseren Gremien und Gruppen für die Inhalte dieses Konzeptes. Ich bestaune immer wieder ihr Durchhaltevermögen und die Leidenschaft, mit der sie sich für den Geist dieses Konzeptes einsetzen und unser alltägliches Gemeindeleben auf ein anderes Reflexionsniveau heben.

Wie können sich Menschen angesichts der Schlagzeilen ihre Freude am Glauben und an einem Mittun in der Kirche erhalten?

Ich kann die Menschen nur einladen, gerade in der jetzigen Situation Verantwortung in der Kirche zu übernehmen. Wir haben in Haltern die Chance, neue Wege zu gehen und Kirche neu zu denken. Die Botschaft Jesu ist viel zu kostbar, als dass wir sie nicht in unser eigenes Leben sprechen lassen sollten.

Wie weit dringen Worte der Seelsorger, die für eine ganz andere Kirche stehen?

Ich könnte jetzt ein wenig zynisch antworten, dass ich in der Vergangenheit einigermaßen überrascht war, wie schnell Aussagen eines Pfarrers aus Haltern am See auf dem Schreibtisch eines Bischofs in Münster und eines Nuntius in Berlin landen, weil konservative Katholiken meinen, so die Fehlentwicklungen einer zu progressiven Pfarrei zu stoppen. Über einen zu kleinen Verbreitungskreis meiner Ansichten kann ich also nicht klagen. Da darf ich mich alleine schon auf meine ärgsten Kritiker verlassen.

Wie viel Hoffnung haben Sie, wenn Sie an die Zukunft der katholischen Kirche denken?

Ich zitiere gerne den Sänger Joris, der in einem seiner Lieder einmal davon singt, dass er "hoffnungslos hoffnungsvoll" sei. Diese Lebenshaltung möchte ich mir gerne immer mehr zu eigen machen. Ich kann gar nicht anders, als mit Hoffnung auf die Kirche zu schauen. Wenn sie von Menschen erdacht worden wäre, dann wäre sie schon längst untergegangen. Durch alles Verkrustete und Verschlackte hindurch erkenne ich einen anderen Grund. Vor zwei Jahren haben Restauratoren in der Antonius-Kapelle in Lavesum eine Reinigung der verschatteten Wände vorgenommen und wir konnten nicht glauben, wie das Weiß plötzlich hervorleuchtete. Diesen Blick möchte ich mir auch für meine Kirche bewahren. Es steckt so viel mehr in ihr als das, was in diesen Tagen als hässliche Fratze sichtbar wird.

Macht es unter den Seelsorgern einsam, wenn man die Kirche so kritisch in den Blick nimmt?

Meine große Sorge ist, dass immer mehr Kollegen aufgeben, weil sie Veränderung nicht für möglich halten. Als die Priester des Bistums vor einigen Monaten aufgefordert wurden, ihre Vertreter für den Priesterrat zu benennen, fanden sich so gut wie keine Freiwilligen mehr, die sich überhaupt noch zur Wahl stellen wollten. Viele treibt die Sorge um, dass auch der Synodale Weg, der angestoßene Reformprozess in der katholischen Kirche in Deutschland, nicht die erhofften Durchbrüche bringt.

Was muss die katholische Kirche angesichts der Missbrauchsfälle jetzt vor allem tun?

Es kann nicht bei der ständigen Wiederholung von Entschuldigungsversuchen bleiben. Es gebraucht die Begegnung mit den Betroffenen, das Aushalten ihrer Vorwürfe und ein beherztes Handeln. Wenn ich lese, dass das Erzbistum Köln in den vergangenen Jahren mehr Geld für Imagekampagnen aufgewendet hat als den Opfern von sexualisierter Gewalt zugestanden wurde, wird mir schlecht. Es gebraucht eine Kirche, die nicht durch die Sorge um sich selbst gelähmt ist. Es gebraucht eine Kirche, die auf der Seite der Schwachen steht, die Begegnung mit allen Menschen sucht.